Bella wurde von Dr. Godwin Baxter wieder zum Leben erweckt, ist aber geistig auf dem Niveau eines Kindes. Erst langsam entwickelt sie sich – hin zu einer jungen Frau mit eigenen Wünschen und Bedürfnissen, die nicht länger die Gefangene des Mannes sein will, den sie nur „God“ nennt und der ihr auch einen Mann ausgesucht hat, mit dem sie ihm niemals entkommen kann. So nutzt sie die Chance, God mit einem anderen Mann zu verlassen und sich zu entfalten. Als eine Frau, die unangepasst ist und die eigene Lust nicht verheimlicht, sondern sie geradezu zelebriert.
„Poor Things“ ist ein Film von immenser Schönheit – so prachtvoll, dass fast die Worte fehlen. Weil Yorgos Lanthimos eine Künstlichkeit erschaffen hat, die mit der seiner Hauptfigur harmoniert. Sein Film wirkt meist wie eine märchenhafte Version des Theaters. Das Bühnenbild ist opulent, verspielt, eigensinnig, herausfordernd. Der Film ist optisch brillant, aber er ist inhaltlich noch viel umwerfender.
Weil er philosophisch die großen Fragen des Lebens angeht. Er fordert die Gesellschaft und ihre Regeln heraus, die das Normale abnorm erscheinen lassen, er spielt mit der Frage der Moral und geht der größten aller Fragen nach – der nach dem Sinn des Lebens selbst, indem er Bella auf eine Reise schickt, auf der sie sich selbst entdeckt. Sie bleibt sich immer treu, sagt, was sie denkt und lässt alle Eitelkeit und alle falsche Scham fallen. Bella Baxter ist eine emanzipierte Frau in einer Welt des allumfassenden Patriarchats.
Regisseur Yorgos Lanthimos hat Emma Stone zu einer Darstellung verführt, die in ihrer Vielschichtigkeit, Komplexität und Kühnheit eigentlich nur eine erneute OSCAR-Nominierung bedeuten kann.
Peter Osteried (programmkino.de)